Mahagonny

Szenische Lesung in Zusammenarbeit mit

Cabaret des Grauens: Erich Mayer, Oliver Vilzmann, Mario Eick und
Theaterhof Priessenthal: Monika Kroymann

(Erstaufführung/Premiere: 28.7.2006)


Brechts "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" wurde 1930 unter großer Ablehnung von Presse und Publikum in Leipzig uraufgeführt. "Mahagonny" konnte als ein Abgesang auf die Weimarer Republik nicht akzeptiert werden, und dementsprechend entlarvte man die Oper als eine schwarze Messe des Kapitalismus. Heute wird sie als Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen dem Dramatiker Brecht und den Komponisten Weill angesehen.

Am 28.7. steht auf der Sommerbühne der Burghauser Altstadt eine neue und eigenständige Fassung zur Disposition. Das Opernlibretto wurde von Mario Eick zu einem Versstück für Schauspieler umgearbeitet. Die Grundthese Brechts in Mahagonny: "Allen sei fortan Alles erlaubt. Es gibt nur ein Gesetz. Man muss bezahlen können!" steht auch in der "Burghauser" Bergstadt Mahagonny über den Eingangstoren. Der Spielort ist von der Wüste auf den Gipfel verlegt, der zum Zeichen der höchsten Ausdehnung unseres Zeitalters wird. Diesen höchsten Punkt hat Paul Ackermann erreicht, der sein Geld in den Tälern machte, für den der Boulevard erfunden wurde, dementsprechend ein Jedermann, dem, wie seinem Salzburger Bruder die höheren Mächte zusetzen, der am Ende gehen muss, doch nicht geläutert in den Himmel, sondern nach einem augenscheinlich sinnlosem Ende wird Paul Ackermann dem Verfall preisgegeben. Der Neubau von Mahagonny kennt weder Gott noch Hölle, selbst die so genannten schwarzen Schafe aus Wirtschaft und Politik werden zu Sympathieträgern, so sie ihre menschlichen Regungen gekonnt oder weniger gekonnt zur Schau stellen.

Während nun ein Event das Nächste jagt und die Zuschauerverarbeitende Industrie an die Grenzen ihrer Auslastung kommt, steht auch Burghausen in diesem Sommer unter dem schweren Beschuss der Großveranstaltungsbatterien. Das Projekt "Kleine Burghauser Sommerbühne", Auswärtige fragen nach dem Cabaret des Grauens im Herzen der Altstadt, möchte sich als ein letztes Widerstandsnest verstanden wissen. Auf der mit Kulissen einer abgespielten Casanovaproduktion errichteten Opernbühne entrollen die SchauspielerInnen Monika Kroymann (vom Theaterhof Priessenthal), Erich Mayer, Oliver Vilzmann und Mario Eick (Cabaret des Grauens) am 28. Juli ihre Transparente, stellen unter einem Gummibaum den Bartisch auf, hissen ihren Wimpel und erklären das Cabaret des Grauens zum Herzen von Mahagonny.


Presse:

„Feuer am Himmel, Eis in der Seele
Das Theaterstück ‚Haubentaucher’ in der Traunsteiner Kulturfabrik NUTS

Für die Rentnerin Dora Sommer hat der Krieg nie aufgehört, kennt die Vergangenheit kein Ende. Tagtäglich wird sie von Erinnerungen an Feuersbrünste und Bombeneinschläge gequält, die ihr das Leben zunehmend schwer machen. Aber auch ihre Umgebung leidet darunter, vor allem ihre Tochter, die den Krieg nur aus den Medien kennt und dem seelischen Chaos der alten, vereinsamten Frau verständnislos gegenübersteht.

Eine Wende tritt ein, als Dora eines Tages im Park einen Mann kennenlernt. Einen bierseligen, beinkranken, aber immerhin phantasiereichen Penner mittleren Alters, der sich Winston nennt. Dora ist nicht gerade angetan von dem aufdringlichen Kerl, dessen spielerischer Umgang mit der Realität sie eher verwirrt denn erheitert. Doch Winston ist hartnäckig, und so überwindet Dora nach und nach ihre Bedenken und es kommt zu einer vorsichtigen Annäherung der beiden Randexistenzen. Ja, und dann passiert es: entgegen allen Konventionen verleiben sich die zwei und späte Leidenschaft lodert auf.
Wer auch dagegen steuert, ist Doras genervte Tochter. Nachdem sie dem schmuddligen Charmebolzen fast selbst erlegen wäre, ist sie so erbost über diese merkwürdige Liaison, dass sie mit eisiger Gemütskälte zur Tat schreitet. Am Ende liegt Winston als verkohlte Leiche im Park, und die Tochter faselt etwas von Neo-Nazis und anderem Gesindel, das sich einen Spaß draus machen würde, Obdachlose ‚abzufackeln’.

Eine Geschichte mit Happy-End sei keine zu Ende gedachte Geschichte, hat mal jemand behauptet. Sollte dies wirklich der Fall sein, haben die Leute vom Theaterhof Priessenthal ganze Arbeit geleistet. Folglich ist das Stück unter der Regie von Jan-Geerd Buss auch als Rückblende angelegt und beginnt mit dem Verhör der Tochter. Wir wissen also sofort, dass etwas Schreckliches passiert ist und sind gespannt darauf zu erfahren, wie es dazu kommen konnte, wie diese unglückselige Dreiecksgeschichte derart viel Sprengstoff anhäufen konnte.

In rascher, aufregender, beinahe filmischer Szenenfolge läuft das Geschehen dann auch ab. Und obwohl gleich mehrere Themenkreise behandelt werden (se Liebe, Kriegstraumata, Mutter-Tochterbeziehung), entsteht daraus ein kompaktes, aufwühlendes Drama mit überzeugenden Darstellern.
Silivia Menzel als Doras Tochter hat dabei die dankbarste, weil unheimlichste Rolle. Zunächst überfordert und eigentlich drauf und dran, ihre verwirrte Mutter in ein Pflegeheim abzuschieben, entwickelt sie die Gewaltbesessenheit eines Mafiabosses, als die Mutter droht, sich ihrem ‚Machtbereich’ zu entziehen. Ein Engel, der ein Teufel war.

Christopher Luber erinnert mit dem Gedichte rezitierenden Winston an die schrägen Verführungskünste eines Charles Bukowski, ist schillernder Rabauke und verletzlicher Feingeist zugleich. Bier und Poesie als Heilmittel am Rande des Abgrunds.

Dazwischen Monika Kroymann, die mit ihrer Dora beweist, dass alte Frauen weder gesichts- noch geschlechtslose Wesen sein müssen. Lustvoll und authentisch lotet sie die Bandbreite zwischen gruftigem Abseits und drittem Frühling aus und bringt rüber, was alle Menschen zu allen Zeiten vom Leben erwarten: Liebe und Aufmerksamkeit.“
(Traunsteiner Tagblatt, 1.4.2004)